Quasistationärer Betrieb der Erzeugungsanlage

Konkretisierung der Anforderung an den quasistationären Betrieb von Erzeugungsanlagen

Mit einem FAQ-Eintrag des VDE/FNN vom 05.04.2022 hat das Forum für Netztechnik und Netzbetrieb im VDE (VDE/FNN) als Herausgeber der technischen Netzanschlussregeln für Kundenanlagen (VDE-AR-N 41xx-Reihe) die dort enthaltene Anforderung an den quasistationären Betrieb verschärft.

Problembeschreibung

Die Verschärfung der bisherigen Anwendung der Regelung resultiert aus der Klarstellung der Frage, ob im quasistationären Spannungsbereich von 0,90 UC bis 1,10 UC (dauerhafter Betriebsbereich gemäß VDE-AR-N 4110) bzw. 96 kV bis 123 kV (dauerhafter Betriebsbereich gemäß VDE-AR-N 4120) eine Wirkleistungsreduktion gestattet sei. Die genannten Spannungsbereiche entstammen den jeweiligen Definitionen für den quasistationären Betrieb aus den Richtlinien, siehe auch folgende Grafik.

Quasistationärer Betrieb der EZA

Abbildung: Quasistationäre Betriebsbereiche gemäß VDE-AR-N 4110 und 4120

Der Sachverhalt soll nun am Beispiel der VDE-AR-N 4110 näher beleuchtet werden. Dies ist analog auch für die VDE-AR-N 4120 gültig.

Während generell im gesamten dargestellten Betriebsbereich eine Wirkleistungsreduktion zu Gunsten der Blindleistungseinspeisung („Blindleistungspriorisierung“) erlaubt ist (nur VDE-AR-N 4110), ist gemäß der konkretisierten Anforderung „im normalen Spannungsbereich (90% bis 110% Uc) […] die direkte Wechselwirkung zwischen der Netzspannung und der Anlagenwirkleistung nicht zulässig.“. Als „normalen Spannungsbereich“ bezeichnet VDE/FNN hier also den Spannungsbereich für den Dauerbetrieb der Erzeugungsanlage (EZA), in welchem die eingespeiste Wirkleistung nicht von der Netzspannung abhängig sein darf.

Das i. d. R. als sogenanntes „P-Q-Diagramm“ dargestellte Blindleistungsvermögen von Erzeugungseinheiten (EZE) – und damit in Summe am Netzanschlusspunkt (NAP) auch für die betrachtete EZA – ist jedoch regelmäßig abhängig von der Netzspannung, was dann auch für den dauerhaften Betriebsbereich von 90 % bis 110 % UC bzw. Klemmenspannung der EZE gilt.

Zur Verdeutlichung des Sachverhalts soll ein beispielhaftes P-Q-Diagramm einer fiktiven EZE dienen, welches in folgender Abbildung dargestellt ist.

Wirkleistungsreduktion der EZE

Abbildung: Beispielhaftes P-Q-Diagramm einer fiktiven EZE (Bezugswert für P und Q ist i. d. R. PrE)

In Bezug auf die konkretisierte Anforderung an den quasistationären Betrieb ist nun relevant, wie viel Wirkleistung die EZE im dauerhaften Betriebsbereich von 90 % bis 110 % der Bemessungsspannung minimal einspeisen kann.

Bemerkung: Die Anforderung bezieht sich wie oben beschrieben natürlich auf den NAP, also den Spannungsbereich 90 % bis 110 % UC, jedoch ist die Erläuterung auf EZE-Ebene hilfreich, um die Auswirkung auf eine gesamte EZA zu verstehen.

Das P-Q-Diagramm zeigt nun deutlich, dass für Spannungen im Bereich zwischen 0,95 Un und 1,15 Un die EZE stets maximal ihre gesamte Bemessungswirkleistung (1 p.u.) einspeisen kann, während für Spannungen < 0,95 Un die Einspeisung auf maximal P = 0,90 p.u. (im Diagramm mit Pmax (0,90 Un bezeichnet) begrenzt ist.

Daraus resultiert eine Abhängigkeit der Wirkleistungseinspeisung von der Netzspannung, die wie oben beschrieben im dauerhaften Betriebsbereich von 90 % bis 110 % der Bemessungsspannung gerade nicht erlaubt ist. Eine EZA, die aus mehreren EZE besteht, deren Wirkleistungseinspeisung derart von der Netzspannung abhängt, zeigt dieses unerlaubte Verhalten voraussichtlich auch am NAP.

Gemäß 4110-FAQ-Eintrag des VDE/FNN vom 05.04.2022 ist diese Konkretisierung anzuwenden auf EZE bzw. EZA, für welche ab dem 02.07.2022 beim Netzbetreiber der Anschlussantrag eingereicht wurde.

Evaluierung der Anforderung

Zusätzlich zu den genannten FAQ-Einträgen wurde auch die Technische Richtlinie 8 (TR8) der Fördergesellschaft Windenergie und andere Dezentrale Energien (FGW) e. V. durch ein Beiblatt ergänzt, welches die Vorgaben verbindlich für akkreditiere Zertifizierungsstellen festlegt. In den genannten Quellen ist allerdings kein Verfahren beschrieben, wie die konkretisierte Anforderung zu evaluieren ist. Zu diesem Zweck wurde im Rahmen des Treffens der Zertifizierungsstellen (TdZ) der FGW ein Beschluss gefasst, der sich in Zeile 47 des öffentlich zugänglichen Beschlussbuchs findet.

Dort wird im Hinblick auf das Vorgehen bei der Evaluierung zwischen Anlagenzertifikaten A und B unterschieden (mehr dazu)

Während das Verfahren für Anlagenzertifikate B einfach umzusetzen ist (Ablesen des maximalen Wirkleistungswertes aus dem für 90 % Un gültigen PQ-Diagramms), muss für Anlagenzertifikate A häufig ein iteratives Verfahren zur Ermittlung der erforderlichen Wirkleistungsreduktion angewendet werden, da der Betriebspunkt 90 % UC am NAP i. d. R. nicht dem Betriebspunkt 90 % Un entspricht, sondern je nach Parkaufbau etwas höhere Spannungen an den EZE-Klemmen resultieren können. Würde hier also auf die maximale Wirkleistungseinspeisung gemäß dem für 90 % Un gültigen P-Q-Diagramms reduziert werden, wäre die festgestellte Reduktion zu Lasten des Ertrags der EZA regelmäßig zu hoch.

Zwar ist das Verfahren für Anlagenzertifikate B damit weniger aufwendig, jedoch bringt es auch folgende Nachteile:

  1. Die Betriebsmittel im Park (v. a. Kabel) führen i. d. R. dazu, dass die tatsächlichen EZE-Spannungen höher sind als diejenigen am NAP.
  2. Eventuelle Abweichungen vom Bemessungs-Übersetzungsverhältnis an den Maschinentransformatoren (durch entsprechende Einstellung der Stufenschalter) und deren signifikanter Einfluss auf die EZE-Klemmenspannungen bleiben unberücksichtigt.

Sowohl für Anlagenzertifikate A als auch B erfolgt die Dokumentation der einzuhaltenden dauerhaften Wirkleistung im Prüfbericht zum Anlagenzertifikat, aufgeschlüsselt nach den einzelnen EZE, da die geschilderte Konkretisierung der Anforderung ausdrücklich nur für Erzeugungseinheiten gilt, für welche die Anschlussanmeldung beim Netzbetreiber nach dem 01.07.2022 eingegangen ist (in der Praxis kann dafür in guter Näherung das Ausstelldatum des Datenabfragebogens E.8 angenommen werden). Auf den Betrieb von Bestandsanlagen, welche vor diesem Stichtag beim Netzbetreiber angemeldet wurden, hat die Neuregelung also keine Auswirkungen.

Folgen für den Anlagenbetreiber

Die oben beschriebene Neuregelung kann in der Praxis dazu führen, dass die maximal erlaubte Einspeisewirkleistung der betroffenen EZE um bis zu 10 % gegenüber dem Bemessungswert reduziert werden muss, sofern die Lieferanten diese Regelung nicht bereits bei der Bemessung der EZE und in den zugehörigen Einheitenzertifikaten berücksichtigt haben. Diese Reduktion ist dauerhaft in der Anlage zu berücksichtigen und kann nach aktuellem Stand der Regelungen entweder direkt in den EZE oder wahlweise im Anlagenregler hinterlegt werden. Eine Umsetzung in den einzelnen EZE kann dabei von Vorteil sein, da zum einen nicht unbedingt alle EZE davon betroffen sind (z. B. Bestand vor 01.07.2022) und zum anderen eine Umsetzung im Regler je nach Netzbetreiber ggf. zur Notwendigkeit weiterer komplexer Leistungsbegrenzungsfunktionen führen kann. Generell empfiehlt sich projektspezifisch die frühzeitige Rücksprache mit dem Netzbetreiber, da dieser ggf. auch die Änderung des Netzbetreiberabfragebogens E.9 und eventueller weiterer Dokumente (z. B. Schutzeinstellblätter) wünscht. Unsere Kunden erhalten daher bereits frühzeitig im Projektverlauf von uns eine schriftliche Information über das Ausmaß der eventuell erforderlichen Wirkleistungsreduktion und können damit proaktiv auf den Netzbetreiber zugehen. Eine endgültige Überprüfung der Umsetzung der Anforderungen findet dann abschließend im Rahmen der Konformitätserklärung anhand der Einstellprotokolle der EZE und/oder des Anlagenreglers statt.

Fazit

Die Neuregelung des VDE/FNN über den oben beschriebenen FAQ-Eintrag kann eventuell große Folgen für Anlagenplaner und -betreiber haben, denn eine Reduktion der maximal erlaubten Einspeisewirkleistung um bis zu 10 % kann die Folge sein. Wir informieren unsere Kunden bereits in einem frühen Projektstadium detailliert über die eventuell erforderliche Wirkleistungsreduktion und ermöglichen so die zielgerichtete Klärung zwischen allen Interessengruppen, insbesondere mit dem Netzbetreiber. Unserer Evaluierung liegt stets eine kundenorientierte Vorgehensweise zu Grunde, um die Folgen für den Anlagenbetrieb und letztlich den Ausbau erneuerbarer Energien möglichst gering zu halten.

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